Bündnis für gute Nachbarschaft in Niedersachsen

 

I. Ausgangslage:

Gute Nachbarschaft hat eine besondere Bedeutung für ein sicheres und positives Lebensgefühl im Quartier. Sie ist Ausdruck eines intakten und solidarischen Gemeinwesens. In der Corona-Pandemie hat dies eine neue Relevanz bekommen. Gute Nachbarschaft zeichnet sich durch Menschen aus, die bereit sind, sich für das Gemeinwesen im Quartier durch Engagement und Solidarität aktiv einzusetzen und Verantwortung zu übernehmen. Denn Zusammenhalt wird vor Ort von den Menschen gestaltet, die dort leben. Die Stärkung dieses gemeinschaftlichen Miteinanders führt zur spürbaren Verbesserung der Situationen für die Menschen in den Quartieren. Wenn Kommunikation und Miteinander in der Nachbarschaft und im Quartier gelingen, ist ein Grundstein für Problemlösung, Krisenbewältigung und Kompromissfindung auch auf anderen Gebieten gelegt. Sozialverhalten und Demokratiefähigkeit werden gestärkt.

Im Zentrum jeder funktionierenden Nachbarschaft stehen engagierte Menschen, die sich um ihre Nachbarinnen und Nachbarn kümmern. Es gibt unzählige Ehrenamtliche, die sich für ihr Dorf oder Quartier einsetzen. Dieses Engagement bildet das Rückgrat für unser Gemeinwesen. Aber in vielen Gebieten mit besonderen Herausforderungen - im ländlichen wie im städtischen Raum - kommt dieses ehrenamtliche Engagement an seine Grenzen und das Zusammenleben braucht hauptamtliche Unterstützung. Ein Beispiel dafür sind die durch Corona beschleunigten Folgen des Strukturwandels in vielen Innenstädten und Ortsteilzentren. Gerade in zentralen Ortslagen und Mischgebieten mit hoher Nutzungsvielfalt sind die Akteure mit ihren oft sehr unterschiedlichen Belangen auf wechselseitige Akzeptanz und Kooperation angewiesen. Das gilt besonders in Zeiten des strukturellen und demographischen Wandels, der in vielen Innenstädten, Ortszentren im ländlichen Raum und Ortsteilzentren bereits lange vor Corona begonnen hat und der nun überall zu gestalten sein wird. Dieser Strukturwandel geht alle an - die wirtschaftlichen Interessengruppen, aber auch die Bürgerschaft mit ihren berechtigten Interessen an Infrastruktur, Aufenthaltsqualität, Kultur- und Freizeitangeboten und einer guten Mischung von Wohnen und Arbeiten.    

Pandemien, Globalisierung, Zuwanderung, Diversitäten, wachsende soziale Ungleichheit und der demographische Wandel können den Zusammenhalt in den Quartieren auf die Probe stellen und zu Konflikten führen. Daher ist es wichtig, die örtlichen Potenziale zu aktivieren und die Rahmenbedingungen für einen starken Zusammenhalt im Quartier zu verbessern. Denn gesellschaftlicher Zusammenhalt beginnt oft am Gartenzaun. Diesen gesellschaftlichen Zusammenhalt zu erhalten und zukunftsfähig zu gestalten ist die gemeinsame Aufgabe von Politik, Institutionen und der gesamten Zivilgesellschaft. 

 

Vor diesem Hintergrund wird ein „Bündnis für gute Nachbarschaft in Niedersachsen“ ins Leben gerufen, um gemeinsam mit den unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteuren das nachbarschaftliche Zusammenleben in Niedersachsen zu stärken. Neben der LAG der Träger der freien Wohlfahrtspflege, die die Bündnisgründung zusammen mit dem Minister für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz Olaf Lies initiiert hat, sind das z.B. die Interessenverbände im Bereich Wohnen und Grundeigentum, die Gewerkschaften, die Industrie- und Handelskammern, die Einrichtungen des Gesundheitswesens, der Flüchtlingsrat Niedersachsen und viele mehr bis hin zu den Sparkassen, den Sport- und Freizeitvereinen, den Kultureinrichtungen und nicht zuletzt den Kirchen und Religionsgemeinschaften.

 

II. Ziele und Themen des Bündnisses für gute Nachbarschaft in Niedersachsen

Das Bündnis erarbeitet Handlungsschwerpunkte und Lösungswege, um gute Nachbarschaft in Niedersachsen dort zu schaffen, wo noch keine ist und dort zu erhalten und zu stärken, wo sie bereits besteht. Es soll die Kooperation der gesellschaftlich relevanten Akteure auf Landesebene unterstützen und Impulse für die Verbesserung des Zusammenlebens vor Ort geben. Das Bündnis soll mit der Vermittlung von Methoden und guten Beispielen eine Landesinitiative starten, die vor Ort in den Quartieren Früchte trägt. Dazu sollen auch Modelle für nachhaltige Strukturen in den Quartieren entwickelt werden.

 

Das Bündnis will

  • Vorbild sein, aktivieren und Impulse geben;
  • Expertise vernetzen und Austausch organisieren;
  • Konzepte entwickeln und Lösungswege aufzeigen;
  • Ehrenamtliches und hauptamtliches Engagement zueinander bringen;
  • Vorhandene Strukturen und Treffpunkte bekannt machen, Ansprachewege für Initiativen und Ehrenamtliche ebnen und das Zusammenwirken stärken;
  • Beratung und Unterstützung in Krisen und Konfliktsituationen leisten und Wege zur Selbsthilfe aufzeigen;
  • Dialog- und Ansprechpartner für Politik und Öffentlichkeit sein;
  • Frauenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus und Gewalt entgegentreten;
  • Schutz, Sicherheit und Inklusion stärken, insbesondere für Frauen, Kinder und Menschen mit besonderen Herausforderungen.

 

Die Rahmenbedingungen für gute Nachbarschaft

Die „Leipzig-Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt“ von 2007 und ihre Fortschreibung zur Neuen Leipzig-Charta im Jahr 2020 zeigen Leitbilder, Grundsätze, Strategien und Instrumente auf: Die resiliente Stadt – also eine Kommune, die in der Lage ist, sich bei Herausforderungen und Veränderungen angemessen anzupassen – ist gerecht und gemeinwohlorientiert, grün und produktiv.

Daraus ergeben sich für das Bündnis unterschiedliche Fragestellungen auf der Ebene der Nachbarschaften im Quartier oder Dorf und den Bündnispartnerinnen und Bündnispartnern auf der Kommunal- und Landesebene.

 

Mögliche Fragestellungen auf der Ebene der Nachbarschaft

  • Was bedeutet „Gute Nachbarschaft“?
  • Wie entsteht gute Nachbarschaft? Was behindert Sie? Was stärkt sie?
  • Welcher Ressourcen bedarf es vor Ort, damit gute Nachbarschaft gelingt?
  • Was braucht es, damit Menschen sich nachhaltig für den Zusammenhalt im Quartier zu engagieren und das Miteinander gemeinsam lebenswerter gestalten?
  • Wie können Nachbarschaften voneinander lernen?
  • Welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf die Nachbarschaft?
  • Was können aus der Sicht der Nachbarschaften die Bündnispartner auf Landesebene zum Gelingen vor Ort beitragen?

 

Dabei soll sowohl der aktuelle Stand von Forschung und Lehre zu Nachbarschaftsarbeit und Quartiersentwicklung aufbereitet und verfügbar gemacht werden, als auch Methoden bereits bestehender Nachbarschaftsprojekte zusammengetragen, ausgetauscht und weiterentwickelt werden. Grundlage dafür sind die bundesweit abgestimmten Qualitätsstandards für Gemeinwesenarbeit und Nachbarschaftsarbeit sowie die Inhalte der niedersächsischen Qualifizierung für Dorfmoderatorinnen und Dorfmoderatoren.

 

Mögliche Fragestellungen für die Akteure auf Landesebene

  • Was versteht der jeweilige Bündnispartner unter “Guter Nachbarschaft”?
  • Wie können die Bündnispartner mit ihrer unterschiedlichen Expertise und unterschiedlichen Strukturen gute Nachbarschaften unterstützen?
  • Wie kann die jeweilige Organisation, Verband oder Kommune tun, um gute Nachbarschaft befördern? Was tut sie schon?
  • Welche speziellen Handlungsbedarfe gibt für Nachbarschaften in Ankunftsorten Innenstädten und ländlichen Gebieten?
  • Wie können die Schnittstellen zwischen Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen in den Nachbarschaften unterstützt werden?

 

Diese Fragen werden im Rahmen der Handlungsfelder einer integrierten Quartiers- bzw. Dorfentwicklung vertieft.

 

1. Wohnen und Wohnumfeld

  • Wie können das Wohnen und das Wohnumfeld in den unterschiedlichen Quartieren verbessert werden?
  • Wie können neue Formen des Wohnens gefördert und initiiert werden?
  • Wie können Orte für spontane und zufällige Begegnungen geschaffen werden?
  • Wie kann der öffentliche Raum Platz für diverse Aktivitäten bieten?
  • Wie können Orte auf veränderte Nutzungsanforderungen durch flexible Veränderungen reagieren?
  • Welchen Einfluss hat die aktuelle Entwicklung der Boden- und Immobilienpreise und der Mieten auf die Entstehungsvoraussetzungen und den Bestand der guten Nachbarschaft und wie kann man hier gegensteuern?
  • Welche Rolle spielt das Vorhandensein von Genossenschaften?

 

2. Soziale Aktivitäten und soziale Infrastruktur

  • Wie können soziale Aktivitäten und soziale Infrastruktur vor Ort verbessert werden (Schaffung von Beratungsangeboten, Begegnungsräumen, Angebote für Kinder und Jugendliche, Gestaltung von familienfreundlichen Quartieren)? 
  • Wie können die Lebens-, Bildungs- und Teilhabechancen von soziökonomisch unterprivilegierten Gruppen durch eine Verbesserung der materiellen, infrastrukturellen und immateriellen Bedingungen gestärkt werden?

 

3. Zusammenleben unterschiedlicher sozialer und ethnischer Gruppen

  • Wie gelingt gute Nachbarschaft trotz sozialer Unterschiede?
  • Wie nutzen wir die kulturelle, religiöse und ethnische Diversität für die Herausbildung eines attraktiven Quartiers?

 

4. Schule und Bildung

  • Wie schaffen wir mehr familienfreundliche Räume und Umfelder?
  • Wie kann die formale Schulbildung durch informelle Bildungsangebote im Quartier ergänzt werden?
  • Wie können wir Aufklärung und politische Bildung im Quartier unterstützen?
  • Was ist nötig, um Toleranz und Konfliktfähigkeit der Menschen in den Quartieren zu fördern?

 

5. Lokale Ökonomie, lebendige Innenstädte und Ortszentren

  • Quartiere sind meist auch Arbeitsorte. Kurze Wege zwischen Wohnung und Arbeitsplatz sind gut; gleichzeitig müssen im Nebeneinander von Wohnen, Wirtschaft und Arbeiten die unterschiedlichen Ruhebedürfnisse und Störpotenziale berücksichtigt werden. Welche Konzepte und Strategien der lokalen Wirtschaft und der lokalen Arbeitsmarktpolitik haben sich besonders bewährt?
  • Wie können wir unsere Innenstädte und Ortszentren revitalisieren und zu lebendigen Orten der Identifikation, der Begegnungen, der Versorgung, des Wohnens, des Lebens und Einkaufens gestalten?
  • Wie kann die Nahversorgung in den Ortszentren im ländlichen Raum auch nachhaltig gewährleistet werden?

 

6. Kultur

 

7. Sport und Freizeit

  • Wie können Freizeit- und Sportangebote für alle Bevölkerungsgruppen geschaffen und die Bewohner zur Nutzung dieser Angebote motiviert werden?

 

8. Gesundheitsförderung, Sicherheit und Inklusion

  • Wie können durch Maßnahmen der Gesundheitsförderung insbesondere Kinder, Ältere, Pflegebedürftige, Menschen mit Fluchthintergrund und Menschen mit Behinderung im Quartier und in den ländlichen Ortszentren aufgefangen werden?
  • Wie kann „richtiges Streiten“ erlernt und vermittelt werden?
  • Wie kann Gewalt vorgebeugt und Gewaltbetroffenen geholfen werden?
  • Wo kann Unterstützung gesucht werden, wenn Krisen oder Konflikte nicht aus eigener Kraft bewältigt werden können?
  • Wie kann Hilfe zur Selbsthilfe geleistet werden?
  • Welche speziellen Handlungsbedarfe gibt es in Ankunftsorten?

 

9. Umwelt und Verkehr

  • Wie kann die Verkehrs- und Umweltbelastung im Quartier reduziert werden?
  • Wie kann Klimaschutz den Zusammenhalt im Quartier stärken?
  • Wie kann der ÖPNV im ländlichen Raum – auch durch alternative Angebote- gestärkt werden?

 

10. Imageverbesserung und Öffentlichkeitsarbeit

  • Wie kann bei Quartieren mit „negativem Image“ die Diskrepanz zwischen differenzierterem Innenimage und teilweise vorurteilsbehaftetem Außenimage in positiver Richtung ausgeglichen werden?
  • Wie kann im Ergebnis die Stärkung der guten Nachbarschaft medial begleitet werden, um niedersachsenweit gute Beispiele zu zeigen und andere Quartiere zum Mitmachen zu ermuntern?

 

Besondere Berücksichtigung benötigt der Umstand, dass Veränderung sich meist nicht völlig konfliktfrei vollzieht. Wenn wir mit gute Nachbarschaft meinen, dass die Nachbarschaften in der Lage sind, neue Mitglieder im Quartier aufzunehmen und ihnen Teilhabeperspektiven zu eröffnen, bedeutet das, dass es immer wieder zu Veränderungsprozessen kommt. Dabei geht es den einen zu schnell und den anderen nicht schnell genug. Wenn es dann auch noch darum geht, dass Minderheiten berücksichtigt werden sollen und sich nicht einfach die Mehrheit durchsetzt und die anderen müssen sich anpassen, ist klar, dass Diskurs und konstruktive Auseinandersetzung ein Zeichen für gute Nachbarschaft ist. Es geht nur darum, wie er organisiert und ausgetragen wird. Überspitzt: Nachbarschaften, in denen nicht gestritten wird, sind abgeschottet und tot. Es geht darum, aus unterschiedlichen Ideen gemeinsam etwas zu entwickeln, das für alle gut ist. Und nicht darum, welche Idee sich durchsetzen lässt. Deshalb wäre es gut, Konflikte und Konfliktlösungswege ausdrücklich zum Thema zu machen.

Im Bündnis werden die Themen, die bearbeitet werden sollen, zu Beginn gemeinsam gesammelt und eingeordnet und konkrete Ziele, Aktivitäten und Arbeitsschwerpunkte daraus entwickelt.

 

III. Organisation des Bündnisses und Arbeitsweise

Das Bündnis besteht aus den Gründungsmitgliedern und denjenigen, die sich dem Bündnis nach der Gründung anschließen möchten. Dies können Institutionen und Organisationen aller Art - Vereine, Verbände, Initiativen, Projekte und Nachbarschaften, Kommunen und Unternehmen, … - sowie Privatpersonen sein.  

Die Gründungsmitglieder bilden aus ihrer Mitte heraus eine Koordinierungsgruppe, die – zusammen mit der Geschäfts- und Servicestelle - Anregungen aufnimmt, den Kommunikationsaustausch organisiert, über Inhalte, Verfahren und Aktivitäten des Bündnisses berät und Vorschläge erarbeitet. Je nach thematischem Schwerpunkt arbeiten Bündnismitglieder daran mit und übernehmen Aufgaben.

Zu diesem Zweck bildet das Bündnis Arbeitsgruppen, die die beschlossenen Themen inhaltlich bearbeiten. Welche Bündnismitglieder in den Arbeitsgruppen mitwirken und wer die Leitung einer Arbeitsgruppe übernimmt, wird mit den Bündnismitgliedern erörtert und in der Koordinierungsgruppe festgelegt. Es können auch Expertinnen und Experten hinzugezogen werden, die nicht Bündnismitglieder sind. Die Arbeitsergebnisse der Arbeitsgruppen werden als Empfehlungen formuliert und im ersten Schritt an die Koordinierungsgruppe übergeben, die eine Bewertung abgibt und einen Weg für die Umsetzung aufzeigt. Anschließend erhalten die Bündnismitglieder die Empfehlungen zur Diskussion, Beratung und Beschlussfassung. Diese Prozesse werden überwiegend in digitaler Form zu organisieren sein.

Eine Geschäfts- und Servicestelle unterstützt die Bündnisarbeit, wirkt auch inhaltlich eng mit der Koordinierungsgruppe zusammen und kümmert sich um das operative Geschäft einschließlich der Bündnis-Website. Die Funktion der Geschäfts- und Servicestelle für das Bündnis übernimmt die LAG Soziale Brennpunkte.

Im Internet präsentiert sich das Bündnis mit einer eigenen Homepage (www.gutenachbarschaft-nds.de).

Das Bündnis setzt sich Meilensteine und überprüft durch ein jährliches Monitoring den Projektfortschritt.

Einzelheiten zur Organisation und zum weiteren Vorgehen werden von der Koordinierungsgruppe erarbeitet und in geeigneter Form an die Bündnismitglieder weitergegeben (z.B. durch Rundschreiben, Internet-Informationen oder Beschlussempfehlungen). Wichtig ist, dass die Bündnisgründung zeitnah – am 14.04.2021 – erfolgt und die Bündnisidee ins Land getragen wird. Alles Weitere kann sodann – auch in Abhängigkeit von den Impulsen der Bündnismitglieder – entwickelt werden.